Keine unbeschwerte Kindheit und Jugend
Fritz Uprimnys Vater Eduard war Malermeister in Steyr, seine Mutter Margarete, geborene Sternschein, betrieb ein Farbwarengeschäft.
Als jüdische BürgerInnen waren sie gut integriert, fühlten sich wertgeschätzt und der kleinen israelitischen Kultusgemeinde zugehörig.
So erlebte der 1921 geborene Fritz mit seinen Geschwistern eine Kindheit wie andere auch, obgleich er zu Beginn der 1930er-Jahre den anschwellenden Antisemitismus spürte. An einem Frühlingstag im Schuljahr 1932/33 tauchte auf dem Sportplatz, auf dem die 1. Klasse des Gymnasiums Unterricht hatte, der Sportwart auf und teilte dem Lehrer mit, dass dieser Platz nur von „Ariern“ benutzt werden dürfe. Der Professor solle den Judenbuben heimschicken. Auch im Boxclub durfte Fritz fortan nicht mehr trainieren, weil dies der „Arierparagraph“ verbot.
Und als er mit seinen Geschwistern an einem heißen Sommertag in der Schwimmschule Abkühlung suchte, riefen ihnen ein paar Halbwüchsige zu: „Heraus, heraus, die Juden verpesten das Wasser!“ Die Zeichen der Zeit waren unmissverständlich – das Unheil warf seinen Schatten voraus. Und die Umstehenden rührten keinen Finger, wenn Unrecht sichtbar wurde. Fritz verließ noch im März 1938 Österreich und suchte bei Verwandten in Budweis Zuflucht. Er besuchte dort auch eine Handelsschule. Seine Eltern und Geschwister blieben zunächst noch in Steyr, sein Vater wurde mehrmals festgenommen, die Mutter mit den Geschwistern zurzeit der „Reichspogromnacht“ im Steyrer Gefängnis eingesperrt und die Wohnung verwüstet.
Es war für alle an der Zeit, die Koffer zu packen.
Schwester Anni und Bruder Dolfi reisten Ende November 1938 von Wien mit einem Donauschiff illegal nach Palästina.1 Auch die Eltern verließen Steyr Richtung Wien, mit ihnen der fünfjährige Sohn Heinzi.
Ella Sternschein (geb. 1891), die Schwester von Margarete, die gemeinsam mit der Familie Uprimny im Haus am Wieserfeldplatz gelebt hatte, blieb noch in Steyr. Ab März 1939 scheint auch sie im Wiener Melderegister auf. Dort kümmerte sie sich liebevoll um ihren Neffen Heinzi. Am 24. März 1939 reiste sie nach Holland und suchte in Amsterdam Zuflucht. Doch nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht im Mai 1940 war ihr Leben ebenfalls nicht mehr sicher. Sie wurde in das „Judendurchgangslager Westerbork“ gebracht und von dort am 10. August 1942 nach Auschwitz deportiert, wo sie zwei Tage später, am 12. August 1942 ermordet wurde.
Margaretes Tochter Mirjam wurde im April 1939 in Wien geboren. Der Vater Eduard Uprimny wurde mit einer der ersten Massendeportationen am 27. Oktober 1939 in das polnische Nisko verschleppt und kam unter ungeklärten Umständen ums Leben. Margarete Uprimny wurde am 2. Juni 1942 mit ihren beiden kleinen Kindern Heinzi (geboren 1933) und Mirjam (geboren 1939) nach Maly Trostinec deportiert und am 9. Juni 1939 ermordet.
Nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in die ČSR im März 1939 wurde Fritz Uprimny im März und im September festgenommen. Er musste sich dazwischen regelmäßig bei der Gestapo melden. Doch schließlich konnte er mit Zustimmung Adolf Eichmanns, Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag“, Ende November 1939 ausreisen. Sein Weg führte von Bratislava mit einem Kohlenschlepper bis Rumänien und mit einem Hochseeschiff über die Türkei nach Haifa. Im Internierungslager Atlit saß er bis August 1941 fest. Nach einem Hungerstreik ließen die britischen Mandatsbehörden die Flüchtlinge frei. Nachdem sich Fritz Uprimny zum britischen Militär gemeldet hatte, kam er mit seiner Einheit in Nordafrika, Malta und Italien zum Einsatz.
Schwierige Heimkehr
Nach einer Odyssee durch Italien landete Friedrich, „Fritz“ Uprimny, als Soldat der British Army in der Provinz Udine. Der Zweite Weltkrieg war endlich vorbei. Vom Lastwagen aus fiel ihm in Artegna eine attraktive Italienerin auf – Pietruccia Elena –, und er verliebte sich in sie. Nach hartnäckigem Werben konnte er ihr Herz gewinnen, doch das Paar benötigte zur Heirat die Einwilligung der katholischen Familie der Braut. Die Mutter holte Erkundigungen in der Steyrer Pfarre St. Michael ein, deren Pfarrer bestätigte, dass es sich bei den Uprimnys um eine „anständige“ Familie handle. Einer Eheschließung stand mit einer Dispens des Vatikans nichts mehr im Wege. Am 1. Juni 1946 gaben sich Fritz Uprimny und Pietruccia Elena De Vit das Jawort.
Im März 1947 wurde Fritz Uprimny aus der British Army entlassen. Zu diesem Zeitpunkt war ein Baby unterwegs, und Fritz wollte wieder zurück in seine Heimatstadt Steyr – in die Stadt, in der er am Wieserfeldplatz 21 aufgewachsen war, in der er seine Kindheit verbracht und wo er mit seinen Geschwistern gespielt hatte.
Fast ein Jahrzehnt nach seiner Flucht, nämlich im Oktober 1947, kehrte er in sein Elternhaus zurück, das nun jedoch von anderen Menschen bewohnt war, auch ein „schwerbelasteter“ ehemaliger Nationalsozialist mit Familie war darunter. Als Fritz Uprimny und seine Familie in sein Haus einziehen wollten, alarmierten die BewohnerInnen die Polizei. Nur ein Raum wurde ihm mit seiner Frau und seiner sechs Monate alten Tochter Margherita zugestanden. Später kamen noch zwei Kinder, Umberto, geb. 1950, und Friedrich, geb. 1954, auf die Welt. Bis Fritz Uprimny sein Haus wieder sein Eigen nennen konnte, vergingen Jahre, und bis dahin war er nur Subverwalter der Finanzlandesdirektion. Vor der Rückstellung 1963 hatte er für die treuhänderische Verwaltung des Hauses eine hohe Summe zu bezahlen, musste sogar einen Kredit aufnehmen, den er erst erhielt, als eine ÖVP-Landtagsabgeordnete intervenierte.
Steyr – wieder Heimatstadt
Fritz Uprimny lebte nun wieder in Steyr – in einer Stadt, von deren Bürgerinnen und Bürgern er vieles wusste und manches ahnte. Einige wechselten die Straßenseite, sobald sie ihn erblickten. Als er eines Tages beim Ausmalen eines privaten Wohnzimmers auf Möbel seiner Eltern stieß, schwieg er.
Nach dem Krieg leitete Fritz Uprimny in Steyr die ORT-Schule (Organization for Rehabilitation through Training) im DP-Lager 231 für jüdische Flüchtlinge bis Ende März 1950, dann in Ebelsberg. Hunderten Schülerinnen und Schülern – viele von ihnen traumatisiert – war er Berater und Freund und ermöglichte ihnen den beruflichen Wiedereinstieg in ihr künftiges Leben. Bis 1955 arbeitete er als Lackierer im sogenannten Nibelungenwerk in St. Valentin, anschließend bei der Firma Holzinger & Strauß in Steyr. Politisch engagierte sich Uprimny bei den Linkssozialisten von Erwin Scharf und nach deren Auflösung bis 1968 in der KPÖ. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings trat er aus der Partei aus. 1978 wurde er pensioniert. Am 11. April 1979 verlieh man ihm den „Orden der Republik Österreich für Verdienste um die Befreiung Österreichs“. Ab 1989 war Fritz Uprimny Mitarbeiter im Mauthausen-Komitee Steyr. 1990 unterstützte er Jugendliche aus ganz Europa im Rahmen eines Jugendsommerlagers bei der Renovierung des jüdischen Friedhofs, den er besonders jungen Menschen gerne zeigte. Als Zeitzeuge erinnerte er an das Schicksal der jüdischen BürgerInnen Steyrs und das seiner eigenen Familie.
Pietruccia Elena Uprimny, geborene De Vit, starb am 3. März 1992, drei Wochen später, am 21. März 1992, folgte ihr 71-jährig ihr Ehemann Fritz Uprimny – der letzte Vertreter der jüdischen Kultur in Steyr.
Auch wenn das Bild der Odyssee Irrfahrt und Heimkehr schildert, so bleibt die Frage, wie sehr die Heimkehr des Fritz Uprimny wirklich eine Heimkehr war, wie er sie sich in seiner Zeit in Palästina vorgestellt hat.
Zeichen der Erinnerung
Lange hat es gedauert, bis 2002 die ehemalige Friedhofstiege in Friedrich-Uprimny-Stiege umbenannt werden konnte. Auf halber Höhe erinnert eine Stele an ihn, seine Familie und die Geschichte der jüdischen Bevölkerung von Steyr. Im Dezember 2018 fand eine szenische Lesung mit Musik zur Erinnerung an die Familie Uprimny im Museum Arbeitswelt statt.
Seit Mai 2023 erinnern Stolpersteine vor dem Wohnhaus der Familie Uprimny am Wieserfeldplatz 21 an Eduard, Margarete, Heinrich Uprimny und an Ella Sternschein.
©Waltraud Neuhauser-Pfeiffer
Literatur:
Der vorliegende Text basiert im Wesentlichen auf der Publikation:
Neuhauser-Pfeiffer, Waltraud: Dazugehörig? Jüdisches Leben in Steyr von den Anfängen bis in die Gegenwart (Steyr, Verlag Ennsthaler 2021)